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JEAN-PHILIPPE COLLARD
Als Robert Schumann (1810-1856) Einzug in die Welt der Musik hielt, hatten
Beethoven, Schubert und Weber bereits die Romantik eingeläutet. Das Herz
triumphierte nunmehr über den Verstand. Mehr als jeder andere ließ Schumann
das Auf und Ab seiner eigenen Existenz in sein Werk einfließen. Das Verständnis
seiner Klaviermusik ohne die nötigen Schlüssel ist unmöglich: zunächst seine
Leidenschaft für Clara Wieck, aber auch seine einzigartigen Liebschaften mit
PianistinnenvorClara.DerKomponist,einezarteundempfindlicheSeelebishinzum
Orientierungsverlust, gab sich voll undganzmit demKlavier preis und verdeutlichte
seinen Willen zum Verschmelzen der Künste. Sein Wunsch nach Vollkommenheit
verlangte eine besondere geistigeVeranlagung, umsich einerWelt hinzugeben, die
jeder Logik entbehrt. „Die gerade erst hergestellte Kontinuität wird sogleich von
einer ‚Laune‘ unterbrochen, die unseremHörerlebnis erneut eine andere Richtung
gibt“ (André Boucourechliev). Nicht nur von den Mysterien der Nacht – jene
von Caspar David Friedrichs Ölgemälden in Kupfer- und Goldbrauntönen –
und von der Beklommenheit der im Dunkeln kauernden Wälder gezeichnet,
beschwört Schumann auch eine Welt der schwer zu entziffernden Anspielungen
(Täuschungen?), Masken, Metaphern und literarischen Reminiszenzen herauf.
Eusebius‘ Melancholie steht in ständigem Gegensatz zu Florestans Enthusiasmus.
Schumanns spinnenartige Handschrift macht den rätselhaften Charakter seiner
Kunst noch undurchschaubarer, zumal die rhythmische Struktur ein Gefühl der
Unsicherheit oder gar der Instabilität schafft. Jenen, die den hitzigen Diskurs
nicht beherrschen und sich von den Empfindungen des Augenblicks überwältigen
lassen, droht Trance oder Tollheit.
Die zeitnah komponierten Stücke
Fantasie op. 17
(1836) und
Kreisleriana op. 16
(1838) stellen jedes auf seine eigene Weise eine Einladung zum Vordringen in
die geheimstenWinkel des Schumannschen Genies dar.