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MENAHEM PRESSLER

Beethoven wiederum verdichtet seine Rede.

Wie bringt er die Mauern, mit denen der

Klassizismus ihn umstellt, zum Einsturz? Was nutzt denn eine neue Sprache, wenn der

Instrumentenbau sie bei ihrer Suche nach neuen Klängen nicht begleitet? Auf der

Sonate

Pathétique

steht in der Tat: „für Pianoforte oder Cembalo“. Die Tastatur ist weiterhin ein

Werkzeug, mit dem Beethoven das Menschheitstheater malt und es zum ersten Male

wagt, sich nicht mehr an Gott zu wenden. (Aber sagt er den Musikern nicht zugleich auch:

„Was habe ich mit euren miserablen Instrumenten zu schaffen, wo doch in mir der Geist

weht“…?). Er bewundert Bach und bedauert, nicht mit Mozart gearbeitet zu haben.

In den Straßen Wiens kreuzen sich bisweilen Schuberts und Beethovens Wege,

doch wagt es Schubert nicht, Beethoven anzusprechen.

Der Komponist des

Erlkönigs

reißt die Maske hinunter, denn seine Bemühungen berühren das Wesen der Musik selbst:

Wo ist der Platz des Künstlers in der Gesellschaft, wenn dieser, unter Einsatz des Lebens,

seiner Kunst nachgehen möchte, ohne von einem Auftrag abzuhängen? Wie Beethoven,

aber verbunden mit mehr Schmerz und Wut, spielt er mit Momenten der Stille und mit

Unausgesprochenem. Was Wien tolerieren kann, aber nicht sehen will, was Metternichs

Polizei anweist, der Kaiser jedoch unterstützt, unter der Feder Beethovens sowie der Feder

Schuberts nimmt es Form an.

Die sich kreuzenden Wiener Geschichten, so nah

beieinander in Zeit und Raum, konnten nur an den

Ufern eines Flusses entstehen, der die neue Kraft

Europas weiterträgt. Im Jahre 1800 funkelt Wien.

Manch einer erblickt darin die Generalprobe zu

dem dann folgenden Jahrhundert.