Background Image
Previous Page  40-41 / 60 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 40-41 / 60 Next Page
Page Background

41

40

Die Komponistin ist ja auch Bratschistin; ich kann mir vorstellen, dass

das auch Auswirkungen auf die Musik hat?

Ja,genau,diese

Sonate

wurdevoneinerBratschistingeschrieben,undzwarvoneiner

sehr guten Bratschistin! Sie hat es geschafft, die schönsten Facetten der Bratsche

aufzuzeigen, die Tiefe ihres Klangs, aber auch ihre hohen Lagen, ihre Virtuosität.

Denken Sie einmal an den zweiten Satz, das sehr schelmische

Vivace

, das aber auch

einen zentralen Moment enthält, der schon fast etwas Religiösem gleichkommt.

Clarke muss viel Bach gespielt haben… Der Schlusssatz wiederum, das

Adagio-

Allegro

, erweist sich als sehr weit entwickelt und von einem überraschenden

Reichtum. Es beginnt mit einem großen Gesang, der sich entwickelt und entfaltet

und dann nach und nach noch weiter an Kraft gewinnt, bis hin zu dem finalen

Höhepunkt.

Von vorne bis hinten stützt in diesem Werk das Klavier mithilfe eines reichen,

harmonischen Grunds die sehr kontrastreiche Musik, die stets in Bewegung ist –

eineMusik, die erzählt. Es ist interessant, dass Rebecca Clarke ihrer

Sonate

folgende

Verse aus

La Nuit de Mai

von Alfred de Musset als Epigraph voranstellt:

Poète, prend

ton luth ; le vin de la jeunesse / Fermente cette nuit dans les veines de Dieu.

(Dichter, greif

zur Laute; in dieser Nacht gärt in den Venen Gottes / Der Wein der Jugend.) Wenn

ich mich an dieses Werk mache, habe ich den Eindruck, ein Buch aufzuschlagen,

das eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten enthält. Und es ist eine schöne

Geschichte!

ADRIEN LA MARCA

ENGLISH DELIGHT

Kommen wir zu den Werken, die auf der Platte versammelt sind, und

zu den Gründen, die Sie dazu gebracht haben, genau diese Stücke

auszuwählen. Sie beginnenmit der imposantesten Partitur des gesamten

Programms, mit der

Sonate

von Rebecca Clarke aus dem Jahr 1919…

Ich wollte unbedingt diese Partitur einspielen. Sie ist der zentrale Pfeiler des

Programms. Sie ist aufs Engste mit meinem Werdegang verknüpft, denn sie ist

das ersteWerk, das ich, mit 16, mit meinem Lehrer Jean Sulem am Konservatorium

in Paris erarbeitet habe. Ich hatte sie über eine Platteneinspielung entdeckt und

konnte damals kaum erwarten, sie selbst zu spielen. Ich erinnere mich noch sehr

gut an das Klassenvorspiel, bei dem ich den ersten und den zweiten Satz gespielt

habe.

Diese

Sonate

ist vor allem sehr stimmungsvoll, das zeichnet sie aus. Man findet

darin Tiefe und Leichtigkeit. Nehmen wir zum Beispiel das

Impetuoso

vomAnfang,

mit einem ruhigeren, sehr melodiösen Hauptteil, in dem die Bratsche mit dem

Klavier in einen überaus zarten Dialog tritt. Es erinnert einen manchmal fast an

französischeMusik, anDebussy undRavel, undmanchmal glaubtman auch

Tristan

zu hören. Clarke, so scheint mir, wurde von vielen verschiedenen Arten von Musik

beeinflusst und hat es in diesemWerk geschafft, aus vielen verschiedenen Dingen

und natürlich auch aus sich selbst das Beste herauszuholen. In ihrer Partitur ist

alles ganz genau ausgeschrieben; man versteht sofort, was sie will, und ihre

Angaben tragen zu einer Sprache von sehr ausgeglichener Stimmung bei.