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24 MENDELSSOHN

Aber es gibt noch einen weiteren Mythos, der glücklicherweise aus der Welt

geschafft werden konnte: die Vorstellung nämlich, dass ein romantischer Musiker

nur existieren kann, wenn er persönliche Tragödien durchlebt. Arm und kränkelnd

und eingeschlossen in seine Schizophrenie, so nur würde er kreativ und zum

Künstler … Mendelssohn entstammt einer jüdischen, wohlhabenden Familie

von Bankern, die zum lutherischen Glauben konvertiert war. Er war Pianist,

Bratschist, Organist und auch Maler und zudem ein begeisterter Sportler, und

er war weitgereist, wovon die Titel einiger seiner sinfonischen Werke Zeugnis

ablegen. Sein kurzes Leben – er wurde 38 Jahre alt –war ohne Rast und Ruh: Er war

unermüdlich in seinem sowohl quantitativ als auch qualitativ außergewöhnlich

reichen Schaffen.

Seine Art zu schreiben ist frisch und erfindungsreich und zeigt, dass er früh schon

die subtilsten Formen beherrschte, und sie kündet zudem von einer großen

Präzision und davon, dass wir es mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit zu

tun haben. Durch seine gesamte Musik hindurch ist der Einfluss Beethovens zu

spüren, und eine unstillbare Erkundungsfreude der Meister der Vergangenheit.

Sein kammermusikalisches Schaffen ist zudem von „außerdeutschen“ Einflüsse

durchzogen: Die Farben Englands und Italiens traten in einem Deutschland,

in dem sich bereits frühe Anzeichen von Nationalismus bemerkbar machten,

umso stärker hervor. Mendelssohn ist im Geiste europäisch, ohne jede Flagge,

doch in Verbundenheit mit seiner kulturellen Vergangenheit. Man denke nur mal

einen Moment lang an den Untertitel

Reformation

der

Sinfonie Nr. 5

, an die Kraft

dieser Hommage eines Juden, der konvertiert und zur deutschprotestantischen

Gesellschaft übergetreten war und damit die Idee kultureller Integration bis zu

ihrem Ende verfolgte …