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26 HAYDN

In seiner Umarbeitung für Streichquartett versuchte Haydn keineswegs, die

ursprüngliche Emphase neu zu erschaffen, selbst wenn die feierliche Strahlkraft

des Stückes von Anfang an, ab dem

Maesto ed Adagio

, zu spüren ist. Er wollte, dass

gute Amateure ohne allzu große Schwierigkeiten die sieben Sätze der Partitur, die

er als „Sonaten“ bezeichnete, spielen konnten.

Schaut man genauer hin, so erkennt man, dass in demWerk klassischer Ausdruck

und barocke Struktur zusammengebracht werden. Der Barockstil nämlich trägt

den biblischen Text in seiner unveränderlichen Tradition, während die von den

Instrumenten erzeugten Klangfarben weit über die Klassik hinausgehen und ihn

bis zu seinem krönenden Abschluss führen.

Haydn bekundet hier eindeutig seinen Willen, neue Ausdrucksformen des

Erzählens, neue dramatische wie auch lyrische Ausdrucksweisen zu erproben. Er

ist sich der Form des musikalischen Anachronismus bewusst, denn zuvor wäre es

ja unvorstellbar gewesen, dass

Die sieben letzten Worten unseres Erlösers am Kreuze

für Streichquartett umgeschrieben werden, denn dem Streichquartett fiel ja per

Definition die Rolle der Unterhaltung zu.

Die Predigt des Bischofs ist also nicht länger der Hauptgegenstand der Vorstellung,

dennerwirdvondenvierInstrumentenersetzt.DieGedankenChristivonHoffnung,

Leid, Durst und Verlassenheit, aber auch von Revolte, werden nicht mehr durch

Worte ausgedrückt: Sie werden offenbar, noch bevor sie ausgesprochen sind.

In einem Text vom April 1787 erläutert Haydn seinem Verleger William Forster

genau diese Verschiebung des vokalen Ausdrucks hin zum instrumentalen

Ausdruck: „Jedweder Sonate, oder jedweder Text ist bloss durch die Instrumental

Music dergestalt ausgedruckt, das es den unerfahrensten den tiefsten Eindruck in

seiner Seel erwecket; das ganze werk dauert etwas über eine stunde, es wird aber

nach jeder Sonate etwas abgesetzt, damit man voraus den darauffolgenden Text

überlegen köne...“