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28 DEBUSSY ∙ MURAIL | RÉVOLUTIONS Sie erwähnen Liszt, einen der Gründer der modernen Klaviertechnik. Wie würden Sie die Technik in Tristan Murails Stücken für Tasteninstrumente definieren? Ich habe kürzlich zwei neue Werke uraufgeführt: Mémorial und Résurgence , zwei separate Stücke, die jedoch zu einem Heft gehören. Das dem Stück Résurgence zugrundeliegende „Modell“ ist das von Liszts Jeux d’eau de la villa d’Este . Es ist nicht nur eine Hommage an die berühmte Villa von Tivoli nahe Rom, sondern auch an die Sorgue, einen Fluss im Vaucluse in der Nähe des Hauses des Komponisten. Dennoch kann ebenso wenig wie bei Liszt bei Murail nicht die Rede von deskriptiver Musik sein. Beide gehen weit darüber hinaus, wie alle großen Komponisten. Tristan Murails Musik muss fließen, damit die Zuhörer in den Läufen oder den Akkordwechseln die virtuose Technik vergessen. In Mémorial erfordern die musikalischen Schichten gigantische Sprünge, die man mit dem Ohr nicht erahnen darf. Die Musik ist von einem großen Klavierkenner komponiert. Die „proportionale Komposition“, wie sie der Komponist nennt, das heißt, die Platzierung der Noten in Bezug auf optische Anhaltspunkte, welche das allgemeine Pulsieren gegenständlich machen – erlaubt es ihm, mit einer gewissen „geschriebenen“ Freiheit zu spielen und dabei eine große rhythmische Präzision aufrechtzuerhalten. Alles ist gewissenhaft angegeben – genau wie bei Debussy – und obwohl der Interpret diese Freiheit innerhalb eines regelmäßigen Pulsierens spürt, muss jedes rhythmische und melodische Detail perfekt umgesetzt werden.

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