LDV98-9
37 FRANÇOIS-FRÉDÉRIC GUY Ich habe stundenlang auf dem Pleyel gearbeitet. Seine Klangprojektion ist so deutlich und direkt wie jene der Pauken der „barocken“ Orchester, wenn ich diesen Vergleich wagen darf. In der Tat habe ich das Gefühl, eine gewisse „Wahrheit“ wiederhergestellt zu haben – jene einer vergangenen Zeit, ohne in unserer Zeit vollends anachronistisch zu wirken. Wertvoll war auch die ständige Anwesenheit von Marion Lainé beim Einspielen. Ich danke ihr von Herzen für ihre liebevolle Vorbereitung dieses Juwels. Sie sorgte dafür, dass das Instrument seine Möglichkeiten nahezu kontinuierlich ausschöpfen konnte. Dabei muss man wissen, dass die Mechanik eines solchen Instruments ständig spezielle Einstellungen erfordert. Dazu braucht die Technikerin hochspezialisiertes Wissen über Chopins Stil. Auch hier verschmolzen Kunst und Handwerk. Welche Ausgabe haben Sie gewählt? Ich habe mehrere verwendet. Bei Chopins Musik gibt es keine alleinige Wahrheit. Die Verleger nahmen sich Freiheiten bis hin zur Entstellung des Werks, und Chopin selbst veränderte seine Partituren von einer Fassung zur nächsten. So gilt es, alle nützlichen Quellen zu durchforsten. Im Manuskript der Klaviersonate h-Moll fehlen zahlreiche Bindungen, und bestimmte Alterationen sind unklar. Musikwissenschaftler und Interpreten erörtern seit Jahren anfechtbare Noten, wenn Chopin zum Beispiel eine Veränderung auf der Partitur einer seiner Schülerinnen schrieb. Ich verwende die Wiener Urtext Edition (Nocturnes, Etüden, Balladen), die Salabert-Ausgabe mit Anmerkungen von Cortot, dessen poetische Angaben kostbar und stets inspirierend sind, sowie die Paderewski-Ausgabe ( Fantaisie, Polonaise-Fantasie, Fantaisie-Impromptu ). Die Entscheidungen liegen also beim Interpreten, müssen aber immer jene von… Chopin sein!
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