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32 CHAUSSON ∙ RAVEL ∙ ENESCU Verkörpert er nicht auch eine Form der moralischen Überlegenheit? Besucht man sein Haus in Sinaia, ähnelt sein Schlafzimmer einer Klosterzelle: 10 m², ein Eisenbett, ein Schreibtisch und ein Fenster… Zuweilen lebte er wie ein Asket der Musik. Aber in seinem Wohnzimmer finden sich zahlreiche Objekte aller Kulturen der Welt. Nichts Menschliches oder Kulturelles schien ihm fremd. Enescu war anderen und der Welt gegenüber extrem offen. In seiner Beziehung zur Musik und zu anderen Musikern nahm er sich nie zurück. Er gab großzügig als Pädagoge (hier seien neben Menuhin und vielen weiteren Schülern Ivry Gitlis, Christian Ferras et Arthur Grumiaux erwähnt), Komponist, Violinist und Dirigent. Mehrere Musikergenerationen weltweit haben sich von seiner Aura und seiner Intensität beeindrucken lassen. Enescu lebte sein Leben lang zwischen Frankreich und Rumänien. Spielte die französische Musik eine Rolle in seiner Entwicklung zum Komponisten? Sie spielte eine wesentliche Rolle. Er studierte am Ende des 19. Jahrhunderts mit knapp 15 Jahren am Pariser Konservatorium. Dort besuchte er denselben Kontrapunkt-Unterricht wie Maurice Ravel, der von dem jungen Rumänen sagte: „Der Schlauste von allen war Enescu“, und denselben Geigenunterricht wie Jacques Thibaud bei Martin Marsick. Als Schüler von Jules Massenet und vor allem Gabriel Fauré, der sein Lehrer blieb, meisterte er die Sprache seiner Zeit vollends (wovon sein 1900 komponiertes Streichoktett zeugt).

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