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34 LISZT • INSPIRATIONS In diesem Sinne hat das Konzept der Farbe einen entscheidenden Platz inne, und die Registrierungen, die sich aus dem musikalischen Diskurs ergeben, erscheinen von außerordentlicher Intelligenz. Hier lassen sich im Übrigen Parallelen mit einer markanten Szene ziehen: Als Liszt denWeimarer Organisten Alexander Gottschalg die großen Werke Bachs ohne Veränderung der Registrierung spielen hörte, warf er diesem an den Kopf, warum er nur ein Manual benutze, wenn er doch drei zur Verfügung hätte! Liszt verbrachte so manche Nacht damit, gemeinsam mit seinem Schüler Johann Gottlob Töpfer Registrierungen für die Passacaglia des Thomaskantors auszuarbeiten. Sie galten für mehrere Organistengenerationen als Vorbild und blieben bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts unverändert! In seiner synkretischen Fassung kombinierte Jean Guillou, der ebenfalls Pianist war, die drei Versionen (Orgel und Klavier), ohne je den Grundgedanken des Komponisten zu missachten und ohne eine Note hinzuzufügen, die nicht von Liszt stammt. Er verband die Versionen, ohne die Liszt’sche Fülle zu verlieren. Klavier und/oder Orgel… Wie „entzieht“ man sich ersterem im berühmten Liebestraum , der ursprünglich zu einem Liederzyklus mit Gesang gehört? Bei der Erarbeitung dieser Transkription habe ich mich von der reinen pianistischen Schreibweise entfernt. Die sanften Klangfarben der Orgel heben sich von jenen des Klaviers ab, und die Klangexplosion in der Mitte des Stücks erlangt hier ein besonderes Relief…
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