LDV93
46 Das Frappierende an Schuberts Werk und der Klaviersonate C-Dur ist der unvollendete Aspekt. Sie spielen nicht die von Ernst Krenek vervollständigte Version. Wie „interpretieren“ Sie den Abbruch? Bei Schubert ist die Unvollendung kein Zeichen des Unvermögens. Der Komponist wollte es so, da er bereits das Wesentliche zum Ausdruck gebracht und das Leid des Augenblicks enthüllt hatte. So nehme ich die kräftig angeschlagenen Oktaven des Andante wahr, welche einigen Aufheiterungen und verwobenen Kindheitserinnerungen weichen, eine täuschende Naivität, bis dieselben Oktaven den gesamten Klangraum erobern. Die Klaviersonate B-Dur ist ein Erfolg, die Errungenschaft eines Lebens. Das berühmte Lied Der Wanderer D 489/93 (das auf dem Gedicht mit dem Beinamen Der Unglückliche basiert), aus dem Schubert einen Teil des thematischen Stoffs zog, beschwört auf fürchterliche Weise das verlorene Paradies herauf: „… das Land, wo meine Rosen blühn, wo meine Freunde wandelnd gehn, wo meine Toten auferstehn…“ „Die Sonne dünkt mich hier so kalt […] ich bin ein Fremdling überall“. Einige Passagen des ersten Satzes der Sonate sind Gipfel der musikalischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Es sind in eine immaterielle Atmosphäre getauchte Augenblicke, wenn der Wanderer den Tod ruhig akzeptiert, in der Tonart C-Dur am Ende des zweiten Satzes Andante sostenuto. Das Gefühl der Reglosigkeit und der Ewigkeit macht sich breit, und ich übertrage diese Phrasen in Bilder – Sie wissen um meine Leidenschaft für die Filmkunst – in Yasujirō Ozus Welt sowie in einigen Einstellungen von Robert Bressons Film Zum Beispiel Balthasar . Dieser Spielfilm scheint mir Schuberts Leben zusammenzufassen. SCHUBERT ∙ KLAVIERSONATEN D 840 & D 960
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