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45 Schuberts Biografie liefert uns Ansätze zum Verständnis seiner Musik. Wie würden Sie jedoch die klangliche Ästhetik des Wiener Romantikers beschreiben? Schuberts Welt scheint mir zwischen zwei Säulen gespannt zu sein: Joseph Haydn und Anton Bruckner. Nehmen wir zum Beispiel die „Reliquie“ C-Dur. Der zweite Satz bildet eine Verlängerung von Andante mit Variationen f-Moll von Haydn, dessen geschickter Satz mir oft reicher als jener Mozarts erscheint, zumindest im Repertoire für Klavier solo. In Schuberts Klaviersonate C-Dur erklingt ein Spiel mit gegensätzlichen Variationen in den Tonarten Moll und Dur, eine furchtbar traurige Stimmung und im Kontrast dazu ein engelsgleiches Leuchten. Hört man daraufhin den langsamen Satz der Klaviersonate B-Dur aus dem Jahre 1828, findet man sich in einem im Gebet erstarrten Trauermarsch. Meines Erachtens ging der Wiener im Andantino der Sonate D 959 noch „weiter“ als Chopin im fast atonalen Finale seiner Klaviersonate b-Moll , die er ein Jahrzehnt später komponierte. Und dies nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Ausdrucksgewalt. Kannte Chopin bestimmte Stücke Schuberts? Diese Frage stellte ich Paul Badura-Skoda. Nichts ist diesbezüglich gewiss. JEAN-MARC LUISADA

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