LDV85
Hinter ihrer Feinfühligkeit und Wärme verbirgt Schuberts Musik eine Kraft, eine außerordentliche Wucht. Schuberts Porträts haben zu einem Missverständnis beigetragen: Sein rundes Gesicht, seine anscheinende Gutmütigkeit, seine roten Wangen, seine Brille vermitteln das Bild eines glatten und zurückhaltenden Mannes. Hingegen deutet seine Totenmaske auf viel mehr Charakter hin. Dieser Dualismus findet sich auch in seiner Musik wieder, die für uns unendliche Wunder birgt. Sie leuchtet hell, doch die Schatten sind nie weit. Obwohl die beiden Streichquartette fast zur selben Zeit entstanden, verkörpern sie das Yin und das Yang. Die Tragik, die Melancholie von „Der Tod und das Mädchen“ einerseits und die nostalgische Zärtlichkeit von „Rosamunde“ andererseits. Der Variationensatz Andante con moto , der das Thema des 1817 komponierten Lieds DerTodunddasMädchen aufgreift, bildetdasHerzstückdesStreichquartetts „Der Tod und das Mädchen“. Der Beginn sorgt für eine eisige Stimmung. Worin liegt die Schwierigkeit der ersten acht Takte? Im Umgang mit der Mehrstimmigkeit, der Frage, welche Stimme hervorgehoben werden soll. Es gilt, das Gefühl von Klavierakkorden zu erschaffen, die sich bei jedem Takt ändern, und dabei die lange Phrase des Chorals beizubehalten. Das Erzeugen eines einzigen Atemzugs, einer einzigen Phrasierung ist hochkomplex. 34 SCHUBERT ∙ ROSAMUNDE, DER TOD UND DAS MÄDCHEN
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