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60 BEETHOVEN/LISZT, SINFONIE NR. 9 Wie treu ist die Bearbeitung der Orchesterpartitur? Cédric Pescia: Im großen Korpus, die die Bearbeitungen der neun Sinfonien Beethovens bilden, legte Liszt absolut phänomenale Treue, Respekt, Intelligenz und Sensibilität an den Tag. Die Einhaltung der Klangfarben des Orchesters, die Treue gegenüber Form und Idee sind beispielhaft. Er hielt die Anzahl der Takte ein und fügte gegenüber dem Originalwerk nichts hinzu. Sogar in den Tremolos, die doch eigentlich sein Markenzeichen sind und zuweilen reißerisch sein können, zeigte sich Liszt äußert maßvoll. Philippe und ich haben darüber nachgedacht: Wusste er, dass die Idee des Tremolos etwas potenziell Demonstratives und Überflüssiges hatte? Zu Beginn fragten wir uns, ob es uns nicht dienlich wäre, einige ausgehaltene Töne mit Tremolos zu verlängern, wenn der Klang zu schnell zu verschwinden schien (da diese Töne im Original von Streichern oder Bläsern gespielt werden). Im Laufe unserer Arbeit verzichteten wir darauf. Den Drang, sich durch die Veränderung einiger Details mehr Freiraum zu erspielen, hat man oft bei Bearbeitungen (zum Beispiel durch das Hinzufügen einer tiefen Oktave, die uns gerechtfertigt scheint, oder einer Stimme, die vom Bearbeiter vermeintlich vergessenwurde). Diese Bearbeitungwurde jedochmit so viel Respekt geschaffen, dass wir Liszt möglichst treu bleiben, seine Bearbeitung sehr ernst nehmen und keine eigenen Ideen einbringen wollten. Obgleich es in der Partitur keine eigene Erfindung von Liszt gibt, zeugt die Verteilung auf die Klaviere und die Art, wie ein Motiv von einem Klavier zum anderen übergeht, von einer Intelligenz, die dem Bearbeitungsgenie Liszts ureigen ist.
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