LDV45
JEAN-PHILIPPE COLLARD 55 Als Mussorgski 1874 Bilder einer Ausstellung komponierte, befand er sich dank dem Publikumserfolg seiner Oper Boris Godunow in einer intensiven Schaffensphase. Die Idee zum Stück war ihm beim Besuch der Ausstellung seines befreundeten Malers und Architekten Viktor Hartmann gekommen. Während des Komponierens schrieb Mussorgski seinem Freund, dem Musikkritiker Wladimir Stassow: „Hartmann kocht, wie Boris gekocht hat. Klänge und Gedanken hängen in der Luft, ich schlucke sie und übersättige mich, kaum schaffe ich es, alles aufs Papier zu kritzeln.“ Er schrieb Bilder einer Ausstellung wie im Banne einer Raserei in weniger als drei Wochen. Der Zyklus besteht aus zehn Stücken, alle inspiriert von Hartmanns Zeichnungen, von denen nur fünf fortbestehen: unter anderem die russische Uhr auf Hühnerfüßen und das große Tor der Stadt Kiew. Diese Stücke werden regelmäßig von „Promenaden“ unterbrochen, das heißt Variationen zu einem selben Thema, die das Schlendern des Komponisten als Ausstellungsbesucher von Bild zu Bild darstellen. Diese einzigartige Form kennt nicht seinesgleichen. Die Bilder einer Ausstellung wurden zu Lebzeiten Mussorgskis nie aufgeführt. Erst Maurice Ravels Orchestrierung rief sie 1922 wieder in Erinnerung. Noch heute wird diese Bearbeitung für Orchester öfter als die Originalfassung für Klavier gespielt.
RkJQdWJsaXNoZXIy NjI2ODEz