LDV38.1
57 CÉDRIC PESCIA Seine Schreibweise beruht vor allem auf Gesang und Tanz... Genau! Dahingehend ist Bach den beiden uralten Formen treu, aus denen alle Musik hervorgeht, nämlich der Gesang und die Bewegung des Körpers im Raum. Im Laufe der Präludien und Fugen entwickelt der Komponist die Kunst des Gesangs in verschiedenen Formen: Monodie wird zu Polyphonie (dies ist der Fall bei jeder Fuge), Chorale, begleitete Arien, Duette und Rezitative. Es zeugt von unglaublicher Großzügigkeit. Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass Bach die Menschheit „umarmen“ und sie zum Singen bringen möchte! Andererseits ähneln zahlreiche Präludien (und sogar einige Fugen) Tänzen, die zu Bachs Zeit in Mode waren (oder aus der Mode gingen oder gar altmodisch waren). Es reicht, Bachs Handschriften zu lesen: Es war ihm unmöglich, eine gerade Zeile zu schreiben! Unter seiner Feder „tanzt“ jede zusammengefasste Sechzehntelnote. Der Schwung des Strichs ist unbezwinglich. Seine Schrift, von äußerster Schönheit was die Kalligrafie betrifft, ist eine wahrhaftige Choreografie, die durch die Geschmeidigkeit der Geste eine Eleganz und eine Kraft, eine unendliche Vielfalt der Atemzüge offenbart. Bach auf mechanische Art zu interpretieren wäre folglich widersinnig. Über diese beiden Grundelemente, Gesang und Tanz, hinaus, gibt es natürlich zahlreiche weitere: das intellektuelle oder gar mathematische Spiel, das vor allem in den Fugen präsent ist; die religiösen oder spirituellen Anliegen; die Idee der Rhetorik oder gar der Theatralik; die Erschaffung eines vollständigen harmonischen Universums, in dem die 24 Tonarten vertreten sind, jede mit ihrer eigenen Emotion, ohne die Chromatik zu vergessen, oder gar gewisse Anspielungen auf alte Tonarten. Hinzu kommen die instrumentale Virtuosität und der pädagogische Aspekt.
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