22 GYPSY MELODIES Kurz darauf komponierte Dvořák einen Liederzyklus, in dem er das erste Werk des tschechischen Dichters Adolf Heyduk (1835-1923) mit gleichem Namen vertonte: Zigeunerlieder. Diese schrieb er im Auftrag des Tenors Gustav Walter (1834-1910), Mitglied der Wiener Hofoper, dem er den Zyklus auch widmete. Der Komponist passte die Lieder direkt an eine deutsche Übersetzung der Gedichte an, welche Heyduk zu diesem Zweck selbst angefertigt hatte. Die Veröffentlichung der deutschen Version vom Berliner Verlag Simrock wühlte die Böhmer auf. Erst später konnte Dvořák sie mit dem Erscheinen der Zigeunerlieder mit tschechischen Texten beruhigen. Jiří Kabáts Arrangement auf diesem Album kann folglich als ein Experiment gelten: Können Dvořáks zwei berühmte Werke auch ohne Text beeindrucken? Dvořák ließ sich für seine eigenen Kompositionen nur leicht von Volksmusik inspirieren, sein junger Kollege und befreundeter Komponist Leoš Janáček (18541928) ging anders vor. Er interessierte sich ein Leben lang für Volkslieder, die er zunächst in seiner Heimatstadt Hukvaldy an der Grenze zwischen Mähren und Schlesien kennengelernt und dann systematisch mit veröffentlichten Sammlungen studierte hatte, wobei er sie vorzugsweise vor Ort lernte. Er durchzog das Land auf der Suche nach Sängern, Tänzern und Volksmusiktruppen und zeichnete die Musik überall da auf, wo sie gesungen und getanzt wurde. Im Volkslied sah er den Menschen als Ganzes: Körper, Seele und Umgebung.
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