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27 DANA CIOCARLIE Ist die Lerche also eine Art Zeugin, die die Geografie und Geschichte des Landes in der ersten Reihe mitverfolgt? Dana Ciocarlie: Genau, sie ist eine Zeugin, die der Welt mit ihrem Gesang alles Gesehene, Gehörte und Verstandene mitteilt. Dabei ist nicht erstaunlich, dass es sich um eine im Wesentlichen volkstümliche oder gar idyllische Welt handelt, da Rumänien eines der letzten Länder Europas mit ländlicher oder landwirtschaftlicher Prägung ist, ein Land, wo den Menschen der Bezug zur Erde schon immer in den Knochen steckte. Aber vor allem beobachtet sie ein zeitloses Rumänien – jenes, an das zweifelsohne der Dichter Lucian Blaga dachte, als er schrieb: „Die Ewigkeit wurde im Dorf geboren.“ Mein Album erkundet die innige, besondere Beziehung zwischen dem Vogel, dem Dorf und der Ewigkeit. Es beginnt natürlich mit dem Lied Ciocârlia, das sich mit seinem Trillern und seinen Imitationen in Bewunderung übt – der Beweis, falls er überhaupt nötig war, dass die Menschen mit viel Mühe nachahmen können, was ein Vogel wie selbstverständlich kann. Dabei ist die Lektion dieselbe für den Violinisten, der dies an einem Sonntag auf dem Dorffest versucht, wie für mich, die sich an eine Klaviertranskription von Fred Harranger wagt. Gleichwohl steht die Lerche nicht nur im Zwiegespräch mit der Ewigkeit, sondern auch mit der Sonne. Sie ist so wagemutig, zum Horizont aufzusteigen, gen unbekannt, in die Ferne, ohne Furcht, sich wie Ikarus die Flügel zu versengen. Mehr als einmal dachte ich schon, dass wir Wandervögel dem gleichtun… Genau. In vielen Kulturen, darunter auch in unserer, wird die Lerche als heiliger Vogel betrachtet, gerade weil sie so winzig ist und dennoch versucht, der Sonne

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