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PHILIPPE BIANCONI 49 Bei Debussy scheint das pädagogische Ziel nicht vollends erreicht zu sein – außer vielleicht bei der Etüde Pour les tierces . Ich bin nicht überzeugt, dass man wirklich seine Technik für Sexten oder Oktaven steigert, wenn man an seinen Etüden arbeitet.InderEtüde Pourlesaccords bestehtdieSchwierigkeitnichtindenAkkorden selbst, sondern in den unaufhörlichen und akrobatischen Bewegungen. So sehr, dass man oft den Eindruck gewinnt, sich vom Ziel abzuwenden, als setzten die Études beim Interpreten die Beherrschung genau jener Schwierigkeiten voraus, die sie ihm zu bewältigen helfen sollen. Dabei finden sich die wahren Schwierigkeiten letztendlich oft woanders: in den sehr umständlichen Positionen und perversen Formeln, welche Wendigkeit, Flexibilität und Reflexe erfordern. Und natürlich verlangen die Dosierung der Timbres und der Klangebenen sowie die unendliche Mannigfaltigkeit der Anschläge und der Farben eine grenzenlose Fingerkontrolle und Fantasie. Schlussendlich kann man sich fragen, ob die Études statt Etüden für den Pianisten eher Kompositionsetüden sind. Ich male mir gern aus, dass Debussy sich selbst die Herausforderung stellte, Stücke mit grundlegendem Material als Ausgangspunkt – wie ein einfaches Intervall – zu komponieren. Und ausgehend von der Quarte komponierte er zumBeispiel eines seiner eindrucksvollstenMeisterwerke. Debussy erwähnte in Bezug auf Pour les quartes seinem Herausgeber gegenüber „spezielle Klänge“ und „noch nie Gehörtes“. Und tatsächlich staunt man angesichts der unendlichen Vielfalt neuer Klänge, der absolut freien Form und der grenzenlosen Fantasie dieses Stücks von verblüffender Modernität und seltsamer, hypnotischer Poesie.
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